Von der Untertanenkirche über die Kundenkirche zur Kirche der Getauften

Man kann im Großen und Ganzen drei Arten einer Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche unterscheiden, wobei die erste dieser drei Arten von Mitgliedschaften heute keine große Bedeutung mehr hat. Ich spreche von der Mitgliedschaft in der Untertanenkirche, in der Kundenkirche und in der Kirche der Getauften.

 

In der Untertanenkirche sind die Mitglieder einfach nur Mitglieder und unterstellen sich gewissermaßen stillschweigend dem, was in der Kirche maßgeblich sein soll, was auf den Kanzeln verkündet und von den Kirchenleitungen verlautbart wird. Die Mitglieder erheben keinen Anspruch auf Mitwirkung oder Mitsprache. Sie stellen nichts infrage, passen sich an die Gegebenheiten an und lassen alles, was gelten soll, gelten. Sie sind weitgehend passiv; der kleine aktive Teil einer Gemeinde versteht sich im Wesentlichen als Unterstützung der Hauptamtlichen, die den "Mitarbeitenden", so wie sie genannt werden, Anleitung und Anweisung geben, die diese umsetzen sollen. In der Regel entwickeln sie keine eigene Initiative. Um aktiv zu werden, brauchen sie die Anregung und Ermutigung etwa durch Pfarrerin oder Pfarrer.

 

Dieser Typ von Mitgliedschaft war lange Zeit vorherrschend und dürfte auch heute noch vielen nicht unvertraut sein. Aber er gehört der Vergangenheit an und verliert in der Gegenwart an Bedeutung. Weder im Staat noch in der Kirche wollen die Menschen noch Untertanen sein. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie der Kirche angehören wollen, nimmt deutlich ab. Nun entsteht die Notwendigkeit, sie zu umwerben, damit sie weiterhin Mitglied bleiben. So werden aus Untertanen Kunden, die Anspruch auf Dienstleistungen haben. Die kirchlichen Strukturen jedoch sind aber noch immer stark von der Untertanenkirche bestimmt. Sie sind den Ordnungen des staatlichen, kommunalen und öffentlichen Lebens nachgebildet. Begriffe wie "Meldewesen", "Pfarr-Amt", "Oberkirchenrat", "Kirchensteuer", "Gesetz" und "Erlass" deuten darauf hin. Das macht die Umwandlung der Untertanenkirche in eine Kundenkirche außerordentlich mühsam. Die angebotenen und "verkauften" Dienstleistungen führen ja nicht zu einem direkten Umsatz, sondern sollen die Motivation stärken, weiterhin Kirchensteuer zu zahlen und Mitglied zu bleiben.

 

Das funktioniert so nicht. Deswegen soll ein intensiver Einsatz der verschiedensten Medien und die Durchführung soziologisch qualifizierter Befragungen wie die EKD-Mitgliedschaftsuntersuchungen oder die Sinus-Studien diesen Wandel stützen. Aus einer Institution wird eine Organisation und aus der Verwaltung Management. Gleichwohl gelingt das in der Regel nicht, was Anlass für einen zunehmenden Veränderungsdruck ist, der wiederum zu Verunsicherung, Konflikten, Demotivierung und Erschöpfung führt. Selbst dann, wenn die Umwandlung der Untertanenkirche in die Kundenkirche zum Erfolg führen würde, wäre die Kirche dann vollständig den Bedingungen und Gesetzen des Marktes ausgeliefert. Eine in dieser Weise marktförmige Kirche kann unter Umständen für kurze Zeit Aufsehen erregen, hätte aber auf Dauer keine Überlebenschance.

 

Wenn aber zugleich der Weg zurück zur Untertanenkirche verbaut ist, dann muss sich eine ganz neue Perspektive öffnen. Dann liegt es nahe, sich die biblischen Bilder daraufhin anzuschauen, was sie für die Gegenwart bedeuten können. So verschieden diese auch sind, es lassen sich wesentliche Gemeinsamkeiten finden und zugleich Merkmale, die in der Kirche der Gegenwart nur schwach ausgeprägt sind. So tritt an die Stelle der Mitgliedschaft in der Untertanenkirche und die in der Kundenkirche die in der Kirche der Getauften, was eine doppelte Wirkung hat:

 

- zum einen wissen die Getauften, dass sie der Kirche angehören, ohne ihr - in der Regel - je beigetreten zu sein. Wem das nicht wichtig ist, muss das nicht weiter beschäftigen. Alle anderen haben stets die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Dass wird aber nur gehen, wenn die Kirche als Raum der Gemeinschaft der Getauften und der Gottesbegegnung für sie offen gehalten wird. Dieses Offenhalten ist priesterlicher Dienst.

 

- zum anderen ermächtigt die Taufe jede Getaufte und jeden Getauften zu eben diesem priesterlichen Dienst, dem Priestertum der Getauften. Es wird weder von Untertanen noch von Kunden wahrgenommen, sondern nur von jenen, die ihre Verantwortung für die Kirche an je ihrem Platz und ihren Gaben und Begabungen entsprechend wahrnehmen, die Gott anrufen und auf ihn hören, die achtsam mit ihren Nächsten umgehen und sich in das Netzwerk aus persönlichen Beziehungen, das die Kirche bildet, einbringen.

 

Sowohl als Untertanen wie als Kunden werden Menschen nicht wirklich ernstgenommen. Kennzeichen des Menschlichen ist zum einen, dass sie wissen müssen, worauf sie sich verlassen können, zum anderen, dass sie dazu bestimmt sind, Verantwortung zu übernehmen. Worauf sie sich verlassen und wofür sie Verantwortung übernehmen, entscheiden sie in Freiheit selbständig. Die Taufe bietet sich ihnen dafür an. Sie nimmt sie als Menschen nach dem Ebenbild Gottes (1. Mose 1, 27; Psalm 8,5) ernst. Aber sie drängt sich ihnen nicht auf.

 

Vorankündigung: Vom 18. bis 20. März 2022 wird es unter dem Titel: "Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind" ein Wochenendseminar zu diesen Themen geben. Es ist ein gemeinsames Projekt der Ev. Michaelsbruderschaft und dem Gemeindebezirk "Kirche zum Frieden Gottes" und wir von mir und Norbert Gehrts (Prädikant der Gemeinde) durchgeführt werden. Die Anzahl der Teilnehmenden wird begrenzt sein. Genauere Informationen folgen in den kommenden Tagen.

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