Was die Volkskirche mit dem Klimawandel gemein hat

Es war ja so erwartet worden. Wieder 660.000 Kirchenmitglieder weniger. Jetzt kommen sie wieder und geben sich abgeklärt wissend, als seien sie überhaupt nicht überrascht, sind sie ja auch nicht, und verkünden in vorgetäuschter stoischer Gelassenheit, was sie ja schon immer gewusst haben: Tja, die Zeit der Volkskirche ist eben vorbei.

 

Das erinnert mich an die Klimawandel-Leugner: Irgendwann ist der Klimawandel nicht mehr zu leugnen, aber die Klimawandel-Leugner geben nicht auf zu leugnen. Dann leugnen sie eben, dass das Klimawandel nicht von Menschen gemacht ist. Er ist einfach nur Schicksal. Er ist nicht selbst verschuldet. Man kann nichts dagegen machen.

 

Der Niedergang der Volkskirche ist einfach nur Schicksal, sagen die Volkskirchenleugner. Er ist nicht selbst verschuldet. Man kann nichts dagegen machen. Das ist der eigentliche Punkt: Ist der Niedergang der Volkskirche selbst verschuldet - oder ist er Schicksal? Die Probleme fingen damit an, dass der Rückgang der Kirchenmitglieder nicht nur erwartet worden ist, sondern FESTGELEGT wurde! Er wurde zu Planungsgrundlage. Es musste nun so kommen. Die Prophezeiung wurde zur Ursache ihrer eigenen Erfüllung (self fulfilling prophecy). Das ist so bequem: Wenn man daran nichts ändern kann, dann braucht man daran auch nichts ändern. Dann braucht man sich die Mühe nicht zu machen. Ist das ein schönes Leben - nach mir die Sintflut, für die kann ich ja nichts. Man braucht nur seine Finanz- und Verwaltungsleute auf Trab bringen, damit die für die nötigen Anpassungsprozesse sorgen. Und wundert sich dann, dass immer mehr und besseres Verwaltungspersonal und immer weniger Pfarrpersonal benötigt wird. Und man merkt nicht, dass das Kirchenvolk extrem bevormundet wird, denn wenn die Kirchenleitungen ihr Schicksal für unabwendbar halten (und das müssen sie, sonst wird es arg unbequem für sie) - dann müssen sie ihre Schäfchen auch davon überzeugen. Und die treuherzigen Schäfchen glauben ihren Hirten und merken gar nicht, wie sie an der Nase herumgeführt werden - und wie sie bevormundet werden. Dass viele der Schäfchen irgendwie spüren, dass da was nicht stimmt, sich aber nicht damit auseinandersetzen, sondern einfach die Herde verlassen, ist ja dann auch ganz bequem. Wenn die Volkskirche den Draht zum Volk verloren hat oder zu verlieren im Begriff ist, dann ist das nicht nur nicht verwunderlich, sondern es tut weh. Wem es nicht weh tut, der sagt nicht die Wahrheit.

 

Nein, wer auf Grund dieser Entwicklung das Projekt Volkskirche aufgibt, der hat nicht verstanden, was hier auf dem Spiele steht. Wenn die Volkskirche so mir nichts, dir nichts das Volk entlässt ohne danach zu fragen, warum es geht, dann macht sie sich mitverantwortlich dafür, dass es dann andere Geister und Kräfte sein werden, die sich des Volkes bemächtigen und fast meint man, so etwas zeichne sich schon ab.

 

Wir durchbrechen die Spirale nur, wenn wir uns aus der bequemen abgeklärt-wissenden Fernsehsesselperspektive heraus selber in den Hintern treten und uns einen Ruck geben: Wir kämpfen um die Volkskirche und um das Volk! Wir wollen mit den Katholiken zusammen die Kirche der Deutschen und aller Menschen sein, die mit uns leben. Wir muten dem Volk die Frage zu: Woran glaubt ihr? Wir bieten ihnen das Evangelium an und tun alles dafür, dass sie davon Gebrauch machen. Es werden nicht alle sein. Das bringt uns aber nicht von dem Anspruch ab, Kirche des Volkes sein. Des Volkes, nicht für das Volk! Die Freunde der Volkskirche (wie ich einer bin) habe nur dann eine Chance, wenn das Volk Evangelium und Kirche zu seiner eigenen Sache macht und sich aus selbst aus der Obhut von Kirchenvorständen, Pfarrpersonen, Pfarrgemeinderäten, Bischöfen, Kirchenleitungen entlässt.

 

Das goldene Wort dazu hat Jesus selbst in Mt 18,20 gesagt: "Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen." Nur zwei oder drei reichen aus, um Kirche zu sein! Die Volkskirche hat dann eine Chance, sobald das Volk entdeckt: Wir können selber Kirche sein! Das Evangelium ist so klar und einfach, das kriegen wir selber hin.

 

Immanual Kant hat auf die Frage, was Aufklärung ist, geantwortet: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sonder der Entschließung und des Mutes liegt, sich seine ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung"

 

Wenn man nun an die Stelle des Wortes "Verstand" das Wort "Glauben" setzt, dann wird damit die Lage, in der wir uns befinden, exakt beschrieben: Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Glaubens ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Glaubens, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Habe Mut, dich deines eigenen Glaubens zu bedienen!

 

Nur dann, wenn dies geschieht, hat die Volkskirche eine Chance. Aber dann hätte sie eine Chance! Und es würde ein Grundanliegen der Reformation erfüllt. Dann würde sich fast schon explosionsartig eine Fülle an Möglichkeiten, Wegen und Bewegung öffnen, die die bleischwere Lethargie, die sich gerade wie Mehltau über das kirchliche Leben (evangelisch wie katholisch) legt, schnell vergessen lässt.

 

Ich freue mich, wenn wir den Mut finden, uns in diesem Sinne auf den Weg zu machen. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0